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30. 12. 2012

NIEBEL-Interview für den "Tagesspiegel"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab dem "Tagesspiegel" (Sonntag Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten HANS MONATH und ANTJE SIRLESCHTOV:

Frage: Herr Niebel, als Entwicklungsminister reisen Sie nach Afrika und Asien. Spielt es da eine Rolle, dass Sie FDP-Politiker sind?

NIEBEL: Absolut. Wir haben uns vorgenommen, die Art und Weise der Entwicklungszusammenarbeit zu verändern. Wir wollen den Regierungen unserer Partnerländer helfen, Strukturen zu verändern, die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft einbeziehen und mehr auf Bildung achten. Wer gut ausgebildet ist, kann sich ein selbstbestimmtes Leben aufbauen. Das ist eine urliberale Haltung. Und dort, wo Diktaturen herrschen, muss man die Zivilgesellschaft stärken, damit sie selbst Einfluss auf ihre Regierung ausüben kann. Und die Wirtschaft mit ihrer Kompetenz und ihren Mitteln trägt dazu bei, Armut zu bekämpfen. Denn ohne wirtschaftliches Wachstum kann man die Armut nicht verringern.

Frage: Sagen Sie den armen Leuten in Afrika, dass sie sich selbstständig machen sollen, um sich selbst aus der Armut zu befreien?

NIEBEL: Nehmen Sie Simbabwe, wo es keine offiziellen Kontakte zwischen Regierungen gibt, seit die suspendiert sind. Hier machen wir eine regierungsferne, aber an den Menschen orientierte Entwicklungszusammenarbeit. Insbesondere dort, wo Reformkräfte auf kommunaler Ebene gut verankert sind. Diese Kräfte wollen wir stärken, damit sie selbst auf demokratische Strukturen im Land hinarbeiten können.

Frage: Das haben auch Ihre Amtsvorgänger getan, die nicht in der FDP waren.

NIEBEL: Das stimmt. Aber wir haben die Schwerpunkte dorthin verschoben und auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft aus dem Bereich des Verschämten herausgeholt. Das macht den Unterschied. Nur, wo Unternehmen investieren, kann Wachstum entstehen und Armut bekämpft werden. Wir wollen nicht allein beim Überleben helfen, wir wollen Strukturen verändern. Das ist liberale Entwicklungspolitik.

Frage: Was heißt es, im zu Ende gehenden Jahr 2012 und im anfangenden Jahr 2013 in Deutschland, ein Liberaler zu sein?

NIEBEL: Wir setzen auf die Kraft des Einzelnen, sich in Freiheit ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Der Staat muss unterstützen, wo Unterstützung nötig ist. Aber er darf niemanden durch Vorschriften gängeln. Im Zweifelsfall ist eben nur die FDP für Freiheit statt Sozialismus.

Frage: Warum sind zwei Drittel der Deutschen mit der schwarz-gelben Regierung unzufrieden?

NIEBEL: Manchmal gibt es solche Umfragen. Aber im Großen und Ganzen wissen die Deutschen, dass wir im Vergleich sehr gut durch die Wirtschaftskrise gekommen sind. Und das hat auch etwas mit der besten Regierung seit der Wiedervereinigung zu tun.

Frage: Immer zufrieden mit Schwarz-Gelb, Herr Niebel?

NIEBEL: Ganz zufrieden ist man nie. Ich bedauere, dass wir nicht schneller vorangekommen sind. Mit ihrer Mehrheit im Bundesrat haben die vermeintlichen Arbeitnehmerparteien SPD und Grüne nun tatsächlich verhindert, dass Arbeitnehmer ihre Lohnzuwächse selbst behalten dürfen. Stattdessen müssen sie nun von jedem zusätzlichen Euro 51 Cent beim Finanzamt abgeben. Ich halte das für schändlich. Wer gut arbeitet, soll doch belohnt werden. Deshalb wollten wir die kalte Progression zum Jahresende abmildern, und das haben Rote und Grüne verhindert.

Frage: Das muss für einen FDP-Politiker besonders bitter sein. Erst wurde nichts aus der großen Steuersenkung, jetzt fällt auch noch die kleine weg.

NIEBEL: Es geht um Leistungsgerechtigkeit. Dazu gehört ein faires Steuersystem, das den Leuten nicht immer mehr von ihrem Erarbeiteten wegnimmt. Oder nehmen Sie das Erbschaftssteuersystem. Es weiß doch jeder, dass alles, was ein Mensch am Ende seines Lebens seinen Nachkommen überlässt, vorher dutzendfach besteuert wurde. Deshalb sollte diese Steuer, die nur den Bundesländern zugutekommt, auch dort verantwortet werden. Ich bin sicher, in meiner Heimat Baden-Württemberg gäbe es dann keine Erbschaftssteuer mehr. Das wäre vernünftig. Denn alles, was schon mal versteuert wurde, muss nicht noch mal versteuert werden. Ich bin sicher, dass ein einfaches und gerechtes Steuersystem bei der nächsten Bundestagswahl wieder ein Thema werden wird.

Frage: So, wie unter Guido Westerwelle 2009?

NIEBEL: Diese Regierung war mit dem Thema Haushaltskonsolidierung sehr erfolgreich. Hätten wir nicht Lasten der Bundesländer übernommen und Zahlungen an die europäischen Hilfsfonds geleistet, hätten wir schon 2013 einen Überschuss von rund 400 Millionen Euro im Bundeshaushalt gehabt. Trotzdem werden wir den strukturellen Haushaltsausgleich vor der Zeit bekommen. Aber Leistungsgerechtigkeit gehört auch zu den Themen, die die Menschen und die unzähligen Unternehmen betrifft. Deshalb wird die FDP auch dieses Thema im Bundestagswahlkampf ansprechen. Und was Guido Westerwelle betrifft, ich bin nach wie vor der Auffassung, dass die FDP unter seinem Vorsitz die erfolgreichste Zeit der Partei überhaupt erleben durfte.

Frage: Das wird nicht jeder in der Parteiführung gern hören.

NIEBEL: Es kann niemand bestreiten, dass wir sehr erfolgreiche Wahlkämpfe bestanden haben. Wir haben unter der Führung von Guido Westerwelle über lange Zeit hinweg die FDP inhaltlich verbreitern und neue Wählerschichten erschließen können. Unter Westerwelles Führung sind wir die erste gesamtdeutsche Partei geworden und haben Verantwortung auf kommunaler Ebene und in Landesparlamenten in bis dato ungekanntem Maß erreicht. Und schließlich 2009 ein Ergebnis von 14,6 Prozent bei einer Bundestagswahl errungen. Das hat es für die FDP vorher noch nie gegeben, und das ist auch ein Erfolg von Guido Westerwelle. Das muss man ihm zugestehen.

Frage: Warum musste Westerwelle dann im Frühjahr 2011 ausgetauscht werden?

NIEBEL: Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Art und Weise, wie der Wechsel im Amt des FDP-Vorsitzenden eingeleitet wurde, kein Beispiel für guten Generationenwechsel war. Jetzt macht Guido Westerwelle einen hervorragenden Job als Außenminister.

Frage: Werden Sie beim Dreikönigstreffen Ihrer Partei am 6. Januar in Stuttgart auch von der aktiven Parteiführung einen hervorragenden Job einfordern?

NIEBEL: Ich gehöre dieser Parteiführung an. Was ich deutlich machen werde, ist die Teamfähigkeit, an der es der FDP-Führung zuweilen mangelt, die wir aber brauchen, um im nächsten Jahr in den Wahlkämpfen bestehen zu können. Die FDP kann nur erfolgreich sein, wenn jeder an seinem Platz gute Arbeit macht.

Frage: Warum kommt die FDP unter Führung von Philipp Rösler nicht aus dem Umfragekeller heraus?

NIEBEL: Ich bin dazu nicht der richtige Ansprechpartner.

Frage: Sie sind Mitglied im engsten Führungsteam der FDP.

NIEBEL: Aber ich bin nur ein Teil der Mannschaft. Wenn ich zurückblicke auf die Jahre nach 2009, dann glaube ich, dass wir die Kraft des liberalen Führungsteams, die es bis dahin gegeben hatte, nicht ausreichend gut über den Prozess der Regierungsbildung retten konnten. Jeder war zu sehr mit sich beschäftigt und hat zu wenig diszipliniert an der gemeinsamen Sache gearbeitet. Wir haben die Kampagnenfähigkeit verloren. Ich bin aber sicher, dass es uns gelingen wird, wieder Tritt zu fassen, wenn die heiße Wahlkampfphase beginnt.

Frage: Soll Philipp Rösler Anfang Mai beim Bundesparteitag als FDP-Chef kandidieren?

NIEBEL: Ich wünsche mir, dass die Partei in die Wahlauseinandersetzung mit dem stärkstmöglichen Führungsteam geht. Keiner gewinnt eine Wahl allein, und keiner verliert sie allein. Mit einer Ausnahme hat die FDP bei ihrem Parteitag noch nie einen Spitzenkandidaten gekürt. Der Vorsitzende ist immer der Primus inter Pares. Und das sollten wir so beibehalten.

Frage: Erwarten Sie denn mehrere Kandidaten?

NIEBEL: Ich bin kein Prophet. Sollte es mehrere Kandidaten geben, dann wäre das jedenfalls ein Zeichen von innerparteilicher Demokratie. Darin ist die FDP übrigens vorbildlich, denken Sie an den Mitgliederentscheid zum Euro.


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